Touch a new day

Die letzten Sommerferien - als kleines Mädchen bemitleidete ich die 12.Klässler, die sich am Ende des Schuljahres in ihre "letzten" richtigen Sommerferien verabschiedeten. Damit, so schien mir, schlossen sie eine Ära ab, eine Tür fiel unvermeidlich in ihr Schloss und verwehrte jedem den Zutritt zu der heilen Welt eines Schülers. Mit dem Beginn der letzten Sommerferien veränderte sich der Rhythmus eines Schuljahres. Es schien ins Leere zu laufen, trotz der Abschlusszeugnisse.

Heute geht es mir immer noch ähnlich, wenn ich mir vor Augen führe, dass auch ich in die letzten Sommerferien gegangen bin. Es werden Ferien folgen, ja, aber heißen sie dann "Semesterferien" oder "Urlaubstage", sie werden anders gefüllt sein und anders erlebt werden.

Ich blicke zurück auf 8 Wochen, die ich sehr eigenständig gestaltet habe. Diese erlebte Unabhängigkeit habe ich genossen, denn über das letzte Jahr habe ich einen eigenen Lebensrhythmus entwickelt und besonders bei der Entscheidungsfällung zunehmend weniger Abhängigkeit von Ratschlägen und Kommentaren verspürt.

Nun bin ich seit einigen Tagen wieder in Flekke, und das Gefühl von Eigenmächtigkeit kommt zurück. Ich bin jetzt ein Secondyear. Groß. Von den Firstyears geachtet. Ich denke, dieses Jahr kann ein ganz herrliches werden. In meinem Jahrgang sind viele sehr aktive Schüler, und auch die Firstyears scheinen begeisterungsfähig zu sein. Beim Mittagessen ließ ich eben den Blick über die Tische schweifen und stellte zufrieden fest, dass sich die Jahrgänge besser mischen als im vergangenen Jahr. In diesen Tagen kommen viele Erinnerungen wieder ans Tageslicht, die im Laufe des vergangenen Schuljahrs langsam aber sicher im Unterbewusstsein einstaubten. Das erste Collegemeeting. Die Graphik, die die Werte eines UWCs darstellt. Die Subject Fair, wo alle Fächer vorgestellt wurden. In diesem Jahr war ich besonders bei letzterem involviert und habe das Fach Nynorsk ab initio vorgestellt. Norwegisch für Anfänger sieht neben Spanisch ab initio immer ein bisschen blässlich aus. Ich entwickel ein richtiges Faible für die Sprache, von der keiner gehört hat und die nur so wenig Menschen schreiben. Sprechen tut jeder Norweger ohnehin wie ihm der Kopf gewachsen ist.

Dieser Tage denke ich viel darüber nach, ob und wie ich UWC im letzten Jahr gelebt und in die Tat umgesetzt habe. Es kommt das Gefühl auf, dass ich mich sehr auf mich selbst konzentriert habe. Dass bei allem, was ich gemacht und gedacht habe, doch der eigene Körper und die eigene Seele im Mittelpunkt standen. Diese Erkenntniss gruselt zunächst, denn wird in unserer Gesellschaft nicht die Selbstlosigkeit ganz besonders hoch gehandelt? Allerdings empfinde ich es als wenig beschämend, die eigene Rolle auf dieser Welt zu erforschen. Der Prozess kann ja durchaus Mitmenschen miteinbeziehen und zu ihrem Vorteil sein.  Dieses Schema "UWC Mission" - es hängt in unserem Zimmer aus - geht mir nicht aus dem Kopf. Alles dreht sich um die neun Kernwerte. Ich erspare mir eine Übersetzung ins Deutsche.

 

1.International and intercultural understanding

2. Exemplary, personal action

3. Personal Challenge

4. A sense of idealism

5. Heightened interaction with the environment

6. Compassion and service

7. Mutual responsibility and respect

8. Personal responsibility and integrity

9. The celebration of difference

 

Mein Lieblingswert? Personal Challenge, also die Herausforderung der eigenen Werte, Fähigkeiten, Gewohnheiten. Das habe ich im vergangenen Jahr permanent getan. Alleine schon, sich auf einen neuen Ort einzulassen, an einem neuen Maßstab zu messen, Verantwortung für eine ganze Gruppe zu übernehmen und die Angst des Versagens zu verdrängen ist ein anstrengender und doch so beflügelnder, beglückender und befriedigender Prozess! Mir ist es wichtig, voran zu kommen, nicht stehen zu bleiben. Welcher Fortschritt kommt ohne das Infragestellen von Normen und Regeln zustande? Wie oft habe ich schon davon geträumt, meinen eigenen Körper zu verlassen und mir einen Tag lang zusehen zu können. Der Mensch entwickelt Ideen, wenn er den geraden, bereits gepflasterten Weg verlässt, und entdeckt, dass sich hinter seinen Scheuklappen ganz neue Möglichkeiten verbergen. Blöd, dass die eigene Bequemlichkeit auch mir so oft im Wege steht.

 

Die vergangenen Tage waren in der Tat eine große Herausforderung und ein Ende ist keineswegs in Sicht. Es treibt mich zeitweise bis an den Rande der Verzweiflung zu wissen, wie viel schulische Arbeit ansteht, wie viel davon abhängt und wie hoch die Kosten sind. Hausaufgaben sind nebensächlich geworden, im Mittelpunkt stehen große Facharbeiten, Aufsätze, Unibewerbungen etc. Was kostet es mich, jeden Tag unzählige Stunden hochkonzentriert über Büchern und am Computer zu verbringen? Die Opportunitäskosten sind hoch, man kann sie auf vielerlei Art und Weise berechnen. Ich könnte so viel Zeit mit Freunden verbringen, könnte mich auf "celebration of difference" konzentrieren, mich mehr auf fremde Kulturen und Biografien einlassen. Darum geht es im UWC doch eigentlich. Und doch priorisiere ich es, möglichst schnell meinen Pflichten nachzukommen um dem Druck unerledigter Arbeit zu entfliehen. Es ist ein bisschen wie das Schwimmen gegen den Strom und oft frage ich mich, ob es das Wert ist. Ich möchte, dass das was ich mache gut ist, meinen Ansprüchen genügt, und die sind hoch. Es geht hierbei nicht nur um akademische Leistungen, sondern auch um meine Qualitäten als Leiter einer World Today Gruppe, als Organisator von Diskussionsforen, als Tutor für die Fächer Norwegisch, Englisch und Biologie, als Secondyear. Ich muss gestehen, dass es mir nicht leicht fällt, zu entspannen, die Füße hochzulegen und die Dinge laufen zu lassen. Aber ich entwickle Strategien, um mich zu entspannen, sei es bei einer Tasse Tee, an der frischen Luft, im Gespräch mit Klassenkameraden und Freunden oder bei einem German Gathering, wie wir es Mittwoch hatten. Ich übernehme gerne Verantwortung. Vielleicht ab und zu ein bisschen zu viel.

 

Und doch: Die harte Arbeit trägt Früchte. Die erste World Today Präsentation, die gerade gehalten wurde, war sehr erfolgreich, das von mir entwickelte neue Format hat ganz ausgezeichnet funktioniert und die Gruppe hat toll zusammengearbeitet. Gestern habe ich das erste Meeting mit den Firstyears geleitet und vorher eine Agenda ausgeklügelt, dank der wir wirklich voran gekommen sind. Dank effizienter Arbeit blieb viel Zeit für Fragen der Neuzugänge, die sogar schon konstruktive Themenvorschläge für zukünftige Präsentationen beitragen konnten. Diese Art und Weise der Organisation liegt mir sehr.

 

Am Wochenende kriegen wir Besuch von Vertreten englicher Universitäten aus London und einem Experten für Bewerbungen in England. Samstagabend steht die fabulöse Secondyearshow auf dem Program - ich spiele Klavier. Die Tage haben nur 24 Stunden und sind doch so vollgepackt mit Proben etc.

Gestern habe ich viel Geld für ein Konzert in Dale ausgegeben. Ein achtköpfiger Männer"chor" aus Russland war gekommen und hat sehr interessante (*räusper*) Musik gemacht. Der erste Teil des anderthalbstündigen Konzerts beinhaltete hauptsächlich russische Kirchenmusik. Barbara und ich saßen ganz vorne und wurden von der Lautstärke eher negativ überrascht. Was für ein Volumen... Die Intonation der Gruppe war ziemlich grauenhaft, aber wenn man sich in UWCmanier darauf einließ und das ganze als Kulturevent einordnete, war es sehr unterhaltend. Besonders der zweite Teil hat Spaß gemacht. Nun wurden Volkslieder aufgeführt. Das entsprach schon mehr dem Können der Sänger, die übrigens ganz groß von einer deutschen Firma rausgebracht werden sollen. Mir war eigentlich von Anfang an klar, dass künstlerisch nichts Großes zu erwarten war, denn wir befanden uns immerhin in Dale (...) aber ich habe dennoch 20 Euro ausgegeben um dem ewig gleichen Umfeld RCNUWC zu entfliehen und meinen Sinnen neues Futter zu geben. Mission erfolgreich, und mein Norwegischlehrer Kare, meine Klassenkameradin Barbara und ich hatten wirklich eine Menge Spaß.

 

Es ist Freitag und ich habe mir vor ziemlich genau einem Jahr geschworen, dass dies mein heiliger Abend sein sollte, an dem Arbeit Arbeit ist und ich ins Schülercafé Snikkarbua gehe. Ich habe dieses Versprechen seit vielen Monaten erst wegen der Firstyearprüfungen und nun im Angesicht der Menge an Arbeit gebrochen. Nun aber raffe ich mich auf, klaube meine 77 Sachen in der Bibliothek zusammen und mache mich auf den Weg in das andere Leben, das da draußen auf mich wartet. Hoffentlich wartet es.

 

Angelika

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Kommentare: 1
  • #1

    LuRy (Dienstag, 10 Juli 2012 10:35)

    Good article dude