Poissons d'or

Großes bahnt sich an, Anna kann kaum noch stillsitzen. Ihre weißen Haare stehen in alle Richtungen und sie weiß noch immer nicht was sie morgen anziehen wird. Die Arme! Sie nimmt erschöpft die schmale Brille von der schmalen Nase und wischt sich mit dem Handrücken über die faltige Stirn, hinter der es heute zu kochen scheint.

Draußen schwirrt die Luft, und das nicht weil es ausnahmsweise klar und sonnig ist. 

Großes bahnt sich an, wirft schon seit Wochen Schatten voraus und ist nun fast da: Die Königin. In meinem Kopf ist sie "die Queen". Ein Eignname ist das geworden, ein Synonym für Sonja, Her Majesty. Anna sagt immer Her Majesty. Aber sobald ich ihr Büro wieder verlasse ist sie "die Queen".

Wir verbiegen uns, putzen uns heraus, legen fest wer wann was sagen wird. Es wird noch einmal bestätigt, dass sie um 10:42 Uhr in das bereitstehende Auto am Flughafen Förde steigen wird. Einige rollen mit den Augen. Wozu der Trubel? Wozu überhaupt Monarchie?? Wieder einmal hat jemand eine Grundsatzdiskussion vom Zaun gebrochen. So geht das immer los.

"Okay guys, listen now. Let's be efficient, so we don't have to stay here til eternity." Pete übernimmt die Leitung der Queenshow-Generalprobe. Gut so, denn Kare, der Musiklehrer mit den feinen, langen, graublonden Haaren, die immer um ihn herum wehen als habe er einen Heiligenschein, ist zwar ein guter Dirigent, aber kein guter Koordinator. Jedem das seine. Das Auditorium ist gefüllt mit Instant-Künstlern. Jetzt oder nie, hol alles aus dir heraus! Und wenn das heißt, dass die Hakatänzer halbnackt der Queen die Zunge herausstrecken werden (und das im ersten Akt), dann hat das auch seine Berechtigung! Denn das ist Kultur. Und Kultur muss man tolerieren. Amen.

 

Ist es richtig, dass wir einer einzelnen Person soviel Zeit und Arbeit zuzugestehen? Ich finde, dass wir gut daran tun, unseren Campus aufzuräumen, ein Best-Of darbieten. Das Beste hier am UWC sind nun mal die Diskussionen über Kultur und Politik. Das Beste sind auch die Nationalkostüme und gutes Essen. Ich würde für jeden Gast zuhause doch auch etwas Gutes kochen und mich hübsch anziehen. Zugegeben, ich würde keine Statisten engagieren oder Gesprächsthemen planen. Aber ich bin mir sicher, dass es bei manchen Menschen vorkommt, dass der beste Freund gebeten wird, für einen Abend den Liebhaber zu spielen um lästige Verehrer abzuwimmeln.

Viel wichtiger ist jedoch, sich einzugestehen, dass es hier nicht nur um eine Person geht, sondern um ein Prinzip. Damit wären wir also wieder bei den Grundsatzthemen. Es geht um Geld, Werbung und Politik. Norwegen ist eben eine Monarchie, und eine gut funktionierende noch dazu. Und wenn die Queen UWC ihr "Herzenskind" nennt, dann hat das einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Geldgeber und Auswahlkommittees. Hauptsächlich auf Geldgeber.

Es ist eben eine Frage von Ethik. Wie bei so vielen Grundsatzdiskussionen. Wie viel bin ich bereit aufzugeben, um an ein Ziel zu gelangen? Bin ich willig, die Schattenseiten für ein paar Stunden unter dem Teppich verschwinden zu lassen und in den höchsten Tönen zu sprechen? Ist es richtig, Generalproben während der sogenannten Protected Time nach 21:00 Uhr abzuhalten?

Für einen Tag werden wir jeder in sein Nationalkostüm gesteckt. Wer keines hat, dem wird bildlich gesehen eines übergestülpt, eine Rolle zugeteilt.

Sie rollen mit den Augen, sagen sie blieben dann lieber den ganzen Tag im Bett und vergessen, dass sie doch im Grunde ihres Herzens die Show nicht für eine Königin veranstalten sondern für Mitschüler und Freunde. Für sich selbst. Um den Glauben an das Gute nicht zu verlieren.

Es ist eben Examszeit. Hin und hergerissen zwischen IB und UWC kann es passieren, dass man sich nicht mehr ganz sicher ist ob man hier richtig ist.

 

Xiaohang bleibt cool. Die Wirtschaftslehrerin ist immer cool. Kalt gelegentlich, cool immer. Die Secondyears hatten heute ihre allerletzte Wirtschaftsstunde. Ich saß draußen vor der Kantine, schwamm in Matheaufgaben und raufte mir die Haare. Sie hatte ihr Fenster offen und hat die Musik lauf aufgedreht. Die Secondyears waren das schon. Pete hatte Eis und Haribo in seiner Englischklasse verteilt. Und nun drehten sie sich weiter zu etwas, das nur bruchstückweise zu mir herüber geweht wurde.

Edmund kam vorbei geschlendert und rekapitulierte kurz den TOK Vortrag über Archivarbeit im US National Archive, den wir heute Vormittag gehalten bekommen hatten.

Die Referentin war Lee Ann Potter, und wenn man sie googlet kommt man fast direkt auf ihre Webpage, auf der sie sich als "director of education and volunteer programs at the U.S. National Archives in Washington, DC" vorstellt. Typisch Amerikanisch? Blond, Akzent, lächelt viel. Aber nicht zu viel. Sie war gut. Ich fand sie gut. Das ist nicht das Selbe.

Man sieht: Das Theory Of Knowledge Programm (Theorie des Wissens Programm) hat auch Einfluss auf mich. Aber woher wissen wir, dass wir im Nachhinein wirklich kritischer denken als vorher? Wenn man herausfindet, dass man sich nie über etwas sicher sein kann, dann weiß man, dass man es zu weit mit TOK getrieben hat.

Überkritisierer bringen es nicht weit, denn es kommt der Zeitpunkt, da gehen sie allen auf die Nerven. Doch halt! Kritik hat zwar eine negative Konnotation, kann aber sowohl negativ als auch positiv sein. Jedoch gilt noch immer, dass ein unaufhörliches Hinterfragen der Dinge sperriges Verhalten ist. A fine line, auf der wir da wandern!

 

Und so ist das hier immer. Immer.

Angelika

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