Goethes Erben - Zwischenzeit

Und schon wieder sind einige Wochen seit meinem letzten Tagebucheintrag ins Land gegangen. Mitlerweile ist es März und man könnte meinen, langsam sollte es wohl Frühling werden. Meine innere Uhr besteht darauf, dass die Sonne scheint, Vögel zwitschern und grün die dominierende Farbe ist. Zuminest die Vögel scheinen meiner Theorie zuzustimmen und geben sich alle Mühe, den Schnee wegzusingen - bisher mit eher mäßigem Erfolg. Am Dienstag hat Schnee den wieder aufkommenden Regen abgelöst und uns zusammen mit der ganzen Umgebung in weiße Farbe getaucht. "Wir haben genug von dieser Farbkur. Weißer als weiß wird's nicht mehr, also geben Sie sich keine Mühe, Herr Winter." - oder Frau Winter eben. Wer weiß das schon?! Alles schreit nach Frühling, lechzt nach Sonne.

Als diese heute Morgen tatsächlich gegen acht Uhr hinter ihrem Schleier hervorplinste war es mir, als seien die Sonnenstrahlen wie Schnüre an meinen Fußgelenken festgemacht und zögen mich mit wachsender Intensität fast magisch aus dem Bett. Schon einige Tage lang hatte mich die Wolken-Depression in ihrem Netz aus Regen und Nebel gefangen, aber heute geht es mir viel besser. Ich habe mir alle Mühe gegeben, das Glücksgefühl bis in die Zehenspitzen zu schicken um es in jedem Winkel meines Körpers irgendwie zu konservieren.

Die Idee, Glücksmomente in ein Marmeladenglas zu stecken, das man bei Bedarf öffnet um am Inhalt zu riechen kommt glaube ich aus der Kinderbuchreihe "Die Wilden Hühner".  Wenn es doch bloß so einfach wäre.

Vorgestern habe ich lange mit meinem Bruder telefoniert, und es war eines dieser Telefonate, das man so schnell nicht vergisst. Meine Familie ist immer wieder ein Dreh- und Angelpunkt (ich musste mich erst einmal via Google rückversichern, ob man das wirklich so sagt...), wenn ich mal meine Koordinaten prüfen muss um sicherzugehen, in die richtige Richtung zu leben. Als dann gestern der gelbe Umschlag in meinem Postfach lag, an dem ich den Brief meines Bruders erkannte, war der Tag schon viel mehr Wert. 

Manchmal habe ich das Gefühl, stecken zu bleiben. Manchmal geht es mir zu langsam, oder immer im gleichen Takt. Seit Monaten so scheint mir, reden wir im Geschichtsunterricht von der Russischen Revolution. Es wird so viel Zeit mit "Good morning folks, anything important you want to share?" oder "It's International Women's Day. So, what is your opinion on gender equality?" verbracht. Ich zögere, es "Zeit verschwenden" zu nennen, denn sicherlich ist es nötig, sich mit Dingen außerhalb des Lehrplans auseinander zu setzen. Muss dafür jedoch die Unterrichtsstunde für hinhalten? Es kommt der Zeitpunkt, da muss das abgeliefert werden, was das IB verlangt und ich habe keine große Lust auf Stress.

Stress habe ich mir schon länger keinen mehr gemacht, dabei steht so viel an. Besonders das kommende Wochenende ist vollgepackt mir allerlei Veranstaltungen. Heute Abend kommen Gäste aus dem College in Walse, Schüler aus dem Baltikum und aus Dänemark. Sie alle werden an MUN (Model United Nations) von Sonntag bis Dienstag teilnehmen. MUN ist ein Programm, dass viele Internationale Schulen auf der ganzen Welt veranstalten. Einem Schauspiel in mancher Hinsicht nicht unähnlich, wird praktisch UN gespielt. Jeder Firstyear ist Abgeordneter eines Landes und einem UN - Gremium zugeordnet. Ich beisielsweise vertrete Indien im Security Council. Jedes Gremium wird von zwei Secondyears geleitet, die sich schon lange darauf vorbereitet haben und Themen ausgesucht haben, die von internationalem Interesse sind und diskutiert werden sollen. In meinem Fall wird es um Extremismus in Pakistan gehen und darum, wie die Internaitonale Gemeinschaft damit umgehen sollte. Des weiteren werden wir uns mit dem wiederholten Fehlverhalten einiger UN Peacekeepingforces auseinandersetzen. MUN bedarf einer Menge Vorbereitungen. Jeder Abgeordnete muss natürlich im Sinne seines Landes handeln und sollte deswegen mit den Gegebenheiten im jeweiligen Staat vertraut sein. So habe ich mich in den letzten Tagen intensiv mit dem Indien - Pakistankonflikt beschäftigt, weiß nun einiges mehr über Atomwaffenpolitik und die Indische Kultur und Politik. Ziel ist es, in der Generalversammlung zum Ende Resolutionen präsentieren zu können, über die abgestimmt wird. Alles ist sehr formell gehalten. Wir müssen von uns in der dritten Person reden, haben viele Verhaltensregeln zu befolgen und werden uns mit Presse und Security (von Secondyears gespielt) rumschlagen müssen. Ich bin gespannt, ob es wirklich zu kontruktiver Arbeit kommt, oder ob wir uns in "The Delegate of the Peoples's Republic of India would like to ask for permission to go to the restroom" verlieren.

 

Einige der Märzfotos zeigen die Arbeit an einem Spaghetti- Dodekaeder. Die Aufnahmen habe ich während des "Sciendays" letzte Woche gemacht. Die Secondyears hatten Prüfungen, und wir Firstyears haben uns einen Tag (8 - 16 Uhr) lang mit der Kontruktion tragfähiger Spaghetti-Gerüste beschäftigt. Einige Gruppen sind zu wesentlich faszinierenderen, höheren und schöneren Ergebnissen gekommen als ich, aber immerhin konnte unsere Figur eine Menge tragen. Der Sinn dieses Tages war es, unsere Teamfähigkeit genauer unter die Lupe zu  nehmen. Anstatt einen Dodekaeder zu bauen, hätten wir vielleicht mehr Spaß an einer Brücke gehabt, aber die Arbeit in einer Kleingruppe hat ganz gut funktioniert. 

Wer besonders viel Spaß oder Interesse an Teamwork hat, hat morgen während der Youthleadership workshops die Möglichkeit, genauer ins Detail zu gehen. Jedes Jahr werden diese recht professionellen Workshops für sowohl First- als auch Secondyears veranstaltet. Mein Samstag wird ganz im Zeichen von Kommunikation und Menagement stehen.

Ich hätte ein ruhiges Wochenende wirklich gebrauchen können. Den letzten Sonntag habe ich fast vollständig verschlafen. Ich bin zum Frühstück aufgestanden, habe mich dann wieder ins Bett gelegt und bin mit einer grässlichen Laune wieder aufgewacht. Dann bin ich einfach liegen geblieben, wieder eingeschlafen und habe an diesem Tag eigentlich nur eine sinnvolle Sache getan: Trompete üben. Immerhin.

Dazu werde ich dieses Wochenende über keine Zeit haben. Am Samstag Abend findet in Dale ein Musikwettbewerb statt, an dem viele Schüler vom College teilnehmen. Katie hat selbst einen Song geschrieben und begleitet Irina auf der Gitarre, Ingunn kann toll singen und wird sicherlich die Möglichkeit aufzutreten nicht vorbeiziehen lassen usw. Ich werde mir das sicher anhören.

Mein EE (extended Essay = wichtiger Aufsatz fürs Diplom) nimmt langsam Form an. Ich werde es auf Norwegisch über zwei norwegische Kinderbücher schreiben und analysieren, wie die Kinder-Erwachsenen Beziehung dargestellt wird. Es gibt also wieder viel zu lesen. Eben habe ich meine Bücher sortiert und mal aufgelistet. Es sind viele! Neben "Schachnovelle", einem meiner World Literature Bücher, lese ich jetzt noch "Leben wär' eine prima Alternative" von Maxie Wander.

Und anstatt jetzt vorm Computer zu sitzen, werde ich diese Philosophie befolgen und ein bisschen leben!

Bis bald!

Angelika

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Kommentare: 1
  • #1

    Hanne Soulis (Montag, 15 März 2010 09:04)

    Liebe Angelika,

    es war schön und interessant, Ihren Tagebucheintrag zu lesen und so an Ihrem Collegeleben teilzuhaben.

    An vorvergangenen Wochenende war ich zum Outreach Workshop am College in Duino, habe dort u.a. auch Xiaohang getroffen und von den YLS-Workshops gehört.

    Das Sie Ihren EE auf Norwegisch schreiben, finde ich sehr beeindruckend!

    Ich wünsche Ihnen einen baldigen Frühling und hoffe, Sie beim 0/1 Year-Treffen in Fronhausen wieder zu sehen.

    Bis dahin viele Grüße aus dem Stiftungsbüro

    Hanne Soulis