Switch me off before you go go

Es ist beklemmend und zugleich entmutigend zu wissen, dass du noch so sehr ein Individuum sein kannst, immer aber von der Gesellschaft geformt wirst. Ich habe das Glück, vielleicht nennt man es Glück auch wenn es sich nicht immer gut anfühlt, mit einem Mädchen in einem Zimmer zu leben, das nichts einfach so nimmt wie es ist sondern hinter jede gemachte Aussage noch ein "warum ist das denn so?" hängt. Oder ein "Warum sollte ich das denn machen, warum sollte ich so denken, warum sollte ich das so finden? Was bewirkt diese Meinung in mir oder in dir, was ist der Auslöser? Warum sollte ich es der Gesellschaft erlauben mich zu formen?" Bäääh. Wie schon in vorangegangenen Artikeln bemerkt, ist kritisches Denken immer auf meiner Tagesordnung. Julia bringt mich dazu, nicht alles so hin zu nehmen weil es eben so ist und Dingen stattdessen auf den Grund zu gehen. Leider ist das nicht immer konstruktiv und bringt mich ungeübten Philosophen, der eigentlich überhaupt keiner sein will manchmal eher einen Schritt zurück als vorwärts. Ich muss lächeln wenn ich das hier noch einmal lese, denn ich schaffe es einfach nicht, genau das auf die Tastatur zu klopfen, was ich eigentlich meine. Sprache ist so begrenzend aber was erlaubt es uns besser, Gedanken und Gefühle mitzuteilen? Im Grunde sind es doch chemische Reaktionen im Gehirrn anhand derer wir definieren, dass wir gerade etwas gedacht, empfunden haben. Wenn diese chemischen Reaktionen nicht eindeutig eingeordnet werden konnten, dann sind die Gedanken eben etwas schwammig und schwer auszudrücken. Die Erkenntnis trainiert und wenn ständig jemand dich auffordert präzieser zu sein, dann kommst du mit der Zeit zu ganz neuen Meinungen.

In vieler Hinsicht ist sie wie Xiaohang die Wirtschaftsleherin, die mich mit einer ähnlichen Methode davon überzeugt hat, dass Norwegian einfach besser zu mir passt als Wirtschaftsunterricht. "Why, Why" kann einfach unglaublich nervend werden, vorallem wenn es um Graphen und Formeln geht, die ich eher Nicht-Naturwissenschaftler nicht neu erfinden sondern eher auswendig lernen will...

Gestern und Vorgestern ist die ganze Schülerschaft in fünf Bussen nach Bergen gefahren um Themen in Verbindung mit Umweltschutz und Environment in general zu diskutieren und anschließend unsere Statements zum Rathaus zu bringen. Eine große Gruppe Schüler hat die letzten zwei Monate damit verbracht, dieses Event vorzubereiten und ich bin mit recht hohen Erwartungen trotz einer grippeähnlichen Erkältung morgens um sieben (das fühlt sich auf einmal so unbarmherzig früh an. Wie könnt ihr nur jeden Morgen um viertel nach sechs aufstehen? Der Mensch gewöhnt sich an alles...) aufgestanden. Leider wurde ich ziemlich enttäuscht. Ich hatte mich für den Environmental Ethics-Workshop eingeschrieben und auf eine spannende Diskussion gehofft, aber leider sollte ich mir dann vorstellen, wie eine Welt mit Müll als einzige Resource in hundert Jahren aussehen würde, ein Modell basteln und eine Möglichkeit sich fortzubewegen erstellen - komplett aus Müll. Ehrlichgesagt hätte meine Vorstellungskraft ausgereicht, mir die Ausmaße der Umweltverschmutzung vorzustellen und es hätte genug Dinge bezüglich der Vorbeugung einer solchen Zukunft zu diskutieren gegeben. Leider fanden die Workshops parallel fast alle in einem Raum statt, der ganze Global Concern war definitiv unkonstruktiv und "Pointless" - genau wie der anschließende Flashmob, den wir 400 Leute (UWC + zwei norwegische Schulen) in der Innenstadt veranstalteten.

Ja, wir werden täglich die "Futur Worldleaders" gepriesen, aber ich bin keineswegs schlauer als manche Leute zuhause, die nicht auf ein UWC gehen. Natürlich habe ich schon viel über andere Länder gelernt, aber mehr gesehen als meine beste Freundin zuhause habe ich nicht, eine konkretere Vorstellung von dem, was ich später bewirken will habe ich auch nicht. Ich werde hier wieder von meiner Umwelt geformt, bekomme Ideale und Werte vorgesetzt, mit denen sich der UWC Schüler nunmal identifiziert. Natürlich kann ich für mich selbst denken, ich bin mir dessen bewusst, dass es Probleme in der Welt gibt, die gelöst werden müssen und ich weiß mitlerweile sicherliches einiges mehr als vorher. Außerdem bekommen die Probleme Gesichter, was es wesentlich schwieriger macht, sie alle über einen Kamm zu scheren. Un doch: Stiftungen haben sich einige Kinder ausgesucht, sie als "Die Elite" definiert und pimpt sie jetzt, um es neudeutsch auszudrücken. Und schwups wird unser Global Concern "Das Event des Jahres in ganz Bergen" genannt und wir sind diejenigen, von denen alles abhängt. Wir versuchen hier eine Welt zu leben, die auf "Menschlichkeit" "Umweltbewusstsein" und "Nordischen Werten und Kulturen" basiert. Vieles ist einfach sehr idealistisch und oberflächlich. Ich bin sehr gerne hier und ich weiß, dass ich eine tolle Ausbildung genieße. Um dann in die Welt zu gehen, die so anders ist als unsere "Seifenblase" in Flekke...?! Ich lerne das, was andere als wichtig definieren, trage die Philosophie einiger Individuen in die Welt hinaus als Teil einer Organisation, geformt von dieser Organisation. So ist das im Leben wohl. Was letztendlich aus mir wird hängt von mir ab, aber wie ich es angehe wird zu großen Teilen nicht von uns selbst bestimmt. Prägung ist etwas, was wir sehr kritisch betrachten sollten.

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Kommentare: 1
  • #1

    České (Freitag, 28 September 2012 10:47)

    Fine article bro